"Wir wollen die bunten Blumen!"

Der Pädagogik Professor Jürgen Zimmer ist auch nach seiner Emeritierung der Freien Universität Berlin treu geblieben – als Präsident der "Internationalen Akademie (INA) gGmbH für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie an der Freien Universität Berlin. Als kleine mobile interdisziplinäre Einheit vor 16 Jahren gegründet, hat die INA inzwischen eine beachtliche Größe erreicht. 20 wissenschaftliche Institute mit 26 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versammelt sie unter ihrem Dach. Darunter sind viele ehemalige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität, aber auch Forscherinnen und Forscher von außerhalb. So wird ein Teil des Teams um den UNESCO-World-Heritage-Lehrstuhl, bisher an der Technischen Universität Cottbus, bei der INA einziehen. Jürgen Zimmers jüngstes INA-Projekt ist eine "fliegende Akademie", die Manager der Automobilindustrie in China mit Schlüsselproblemen der Welt vertraut machen soll. Die Zentrale der INA befindet sich auf dem Campus Lankwitz, im fünften Stock des Hochhauses.

Profund: Erich Sixt soll gesagt haben: "Der Auftrag des Unternehmers ist, Geld zu verdienen. Sonst nichts. Welches unternehmerische Ziel verfolgen Sie?

Jürgen Zimmer:
Unser Auftrag ist Entrepreneurship. Und wir haben ein kleines g vor der GmbH. Während Herr Sixt Unternehmensgewinne privatisiert, fließt das Geld bei uns in gemeinnützige Projekte.

Profund:
Viele Sozial- und Geisteswissenschaftler träumen davon, ihr Einkommen damit zu verdienen, etwas Gutes zu tun. Wie realistisch ist das?

Jürgen Zimmer: Es gibt viele Möglichkeiten, Gelder zu bekommen, wenn das, was man macht, relevant ist. Zum Beispiel finanziert das deutsche Außenministerium gerade eine Studie eines unserer Institute im Gazastreifen und der West Bank. Die Kollegen wollen dort Sport mit psychosozialer Betreuung verbinden, um kriegstraumtisierten Kindern eine mittelbare Bearbeitung ihrer Probleme zu ermöglichen. Andere INA-Institute bekommen Geld von Stiftungen, von Bundesländern oder internationalen Organisationen. Ich selbst habe Anfragen von afrikanischen Staaten, die in einer Nachkriegssituation sind und Schulen brauchen, die unternehmerisch gestimmt sind, damit die Jugendlichen, die keine Jobs finden, sich selbst welche schaffen.

Profund: Wenn man sich mit einer Institutsidee bei der INA bewirbt, worauf muss man achten?

Jürgen Zimmer:
Wir wollten bei der Gründung der INA eine kleine mobile interdisziplinäre Einheit schaffen. Deshalb galt für die Bewerber: Das Institut muss interessant und innovativ sein und irgendwie zur Familie passen. Heute wollen wir immer noch die bunten Blumen, aber wir gucken auch darauf, dass wir Institute bekommen, die eine Mitgift an Personal und Projekten mitbringen – einfach, damit wir die Infrastruktur halten können.

Profund: Vielfalt kann auch bedeuten, dass man sich verzettelt. Wie sichern Sie die INA dagegen ab?

Jürgen Zimmer: Bis jetzt war es immer so, dass sich mit jedem neuen Institut neue interdisziplinäre Brücken gebildet haben. Zum Beispiel profitiert unser Schulentwicklungs¬institut gerade sehr von den Stadtplanern und Stadtgeografen, die 2011 zur INA gekommen sind. Umgekehrt hilft es den Kollegen, die Zukunft asiatischer Megastädte auch unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten zu betrachten. Oder wir sprechen darüber, wie man trotz der einsetzenden Restauration in Ägypten ein Projekt an der Universität Kairo zur Stadtplanung halten kann.

Profund: Und was bringt es der INA, ein Institut an der Freien Universität zu sein?

Jürgen Zimmer: Wir haben ein doppeltes Logo: INA an der Freien Universität Berlin. Wir haben den Wissenschaftsbezug, und wir haben den Kontakt zu Kollegen in der Universität. Das ist sehr viel wert, denn sonst wären wir nur eine unter vielen Consulting-Firmen. Für die Freie Universität sind wir attraktiv, weil wir Studierende aufnehmen, Abschlussarbeiten betreuen, Lehrveranstaltungen anbieten und Arbeitsplätze für junge Wissenschaftler schaffen.

Profund: Trotzdem reichen relevante Projekte und eine gute Kooperation allein vermutlich nicht aus, um auf einen Umsatz von rund drei Millionen Euro zu kommen.

Jürgen Zimmer: Wichtig ist natürlich auch, dass man sich Profis für die Akquisition holt. Und da haben wir wirklich sehr gute Leute in den Instituten. Das mussten wir aber auch erst lernen. Am Anfang haben alle alles gemacht. Wenn man aber als Unternehmer alles allein machen will, dilettiert man meist in einer der Rollen. Außerdem landet man schnell in der Überlastungsfalle. Inzwischen haben wir – einem Rat von Günter Faltin folgend – die Komponenten getrennt und den jeweiligen Profis gegeben. Ich mache zum Beispiel Konzeption, das bin ich, das mache ich gern. Management und Finanzen sind nicht mein Ding.

Profund:
Ein anderer Grund, warum Ausgründungen scheitern, ist Streit zwischen den Gründern. Wie haben Sie den vermieden?

Jürgen Zimmer: Die Gründung der INA ist eng mit der Gründung einer Stiftung von Shaul B. Robinsohn verknüpft, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung war. Seine Witwe riet mir, eine Konstruktion zu machen, bei der das Iffland-Prinzip gilt. Das heißt: einer hat den Ring und bestimmt die Traditionslinie. Daher habe ich bei der Gründung der gGmbH 51 Prozent der Anteile übernommen. Intern genießen die Institute maximale sozialunternehmerische Freiheit. Wir haben zwar unsere wissenschaftlichen Diskurse darüber, was dort passiert, aber wir spielen nicht die Mainstream-Dampfwalze. Sonst gilt das Javanische Rukhun-Prinzip: Wir reden so lange, bis der Weg da ist.

Profund: Und was könnte der INA gefährlich werden?

Jürgen Zimmer: Ein typisches Problem wäre, dass die Gründergeneration nicht für Nachwuchs sorgt. Da steuern wir aber bewusst dagegen. Das heißt auch, dass ich bereits testamentarisch geregelt habe, wer den Iffland-Ring von mir übernehmen wird.

Profund: Wie wird die INA in zwanzig Jahren aussehen?

Jürgen Zimmer: Wenn es so weitergeht, wird sie hundert Institute haben und damit fast eine Universität sein. Dann könnte man, wenn man es will, auch eine Lehre und Abschlüsse anbieten.

Profund: Wie sieht Ihre eigene Planung für die nächsten Jahre aus?

Jürgen Zimmer:
Ich werde zum Beispiel weiter für die Carl Benz Academy in Peking arbeiten, die von einem INA-Institut zusammen mit Mercedes-Benz China, weiteren Partnern und der Urenkelin von Carl Benz gegründet wurde und von der Freien Universität freundschaftlich begleitet wird. Die Akademie bietet chinesischen Managern ein dreijähriges Managementtraining an. Im Moment bin ich dabei, eine Art fliegende Akademie einzurichten, in der wir Manager mit den Grundproblemen dieser Welt bekannt machen wollen. Zum Beispiel werde ich mit ihnen nach Orissa reisen, eine der ärmsten Gegenden Indiens. Dort geht es um wirksame Armutsbekämpfung.

Profund: Das klingt experimentierfreudig.

Jürgen Zimmer: Ich halte es mit Melville. Der hat gesagt: "Die Laufbahn eines hartnäckigen Abenteurers erweist sinnfällig den Grundsatz: Wer im Großen Erfolg haben will, darf nicht auf glatte See warten, sondern muss mit aller Verblendung auf sein Ziel zustürzen." Auch die INA war einmal bloß eine Idee. Jetzt ist sie ein lebendiges Gebilde, das blüht und gedeiht. Und das ist für mich eigentlich das Schönste und Überraschendste an der Geschichte.

Die Fragen stellte Beate Krol.

Was die INA alles kann

Bloß nicht Mainstream sein, könnte das Motto der INA heißen. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist sie mit ihren Instituten weit vorn. Ein paar Beispiele: Das Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BEKI) leitet die Evaluation der 2.000 Berliner Kitas. Das Office for Psychosocial Issues (OPSI) entwickelt niedrigschwellige Therapiekonzepte für traumatisierte Kinder in Kriegsge¬bieten. Die beim Institut für den Situationsansatz (ISTA) angesiedelte Fachstelle KINDERWELTEN unterstützt Teams an inklusiv arbeitenden Kitas und Schulen mit Fortbildungen zur vorurteilsbewussten Erziehung. Das School for Life Institute (SfLI) der INA gGmbH unterstützt die "School for Life" in Thailand, die Waisenkinder und Kinder aus schwierigen und sehr armen Verhältnissen aufnimmt. Sie erhalten dort eine qualifizierte Ausbildung und leben familiär eingebunden. Das Institut für Innovationstransfer und Projektmanagement (IfI) arbeitet mithilfe von deutschen und chinesischen Sponsoren und Partnern an der Gründung einer Universität zur "menschlichen Mobilität" in Peking. Sie soll aus der Carl Benz Academy hervorgehen, die das IfI initiiert hat, und deren Entwicklung von der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) in Berlin, einer Tochter der Freien Universität, der Peking University und einer Universität aus Los Angeles belgeitet und von Mercedes-Benz China gefördert wird. Das Institut für Schulentwicklung (ISE) erforscht, wie sich die Gentrifizierung eines Berliner Bezirks auf das Schulverhalten der Eltern auswirkt. Und das Paulo Freire Institut (PFI) bietet internationale Weiterbildungsprogramme zu Friedenspädagogik und regionaler Konfliktberatung an.

proFund - Das Magazin der Gründungsförderung an der Freien Universität Berlin | November 2012
Interview mit Professor Jürgen Zimmer