Für Wassilios Fthenakis zum 75. Geburtstag

Kombach! 1821!

Das musste sich doch wie Fußfesseln anfühlen: dauernd in die weite Welt hinauswollen und Direktor eines Bayerischen Staatsinstituts sein. Gelitten hast Du, lieber Wassilios, und gedribbelt wie Özil, um an den Grenzposten vorbeizukommen. Und dann ab nach Hessen! Einen Bildungskanon schreiben! Wie begrenzt aufregend! Da hätte ich uns lieber in die Zeitmaschine gesetzt und ins Jahr 1821 nach Kombach in den Odenwald geschickt, um mit den armen Bauern daran zu tüfteln, wie man die Postkutsche des Großherzogs mit dem Geldkasten nicht nur menschlebenschonend ausraubt, sondern das Geld auch noch so ausgibt, dass es nicht gleich auffällt. Oder auswandern wie die 40.000 Darmstädter nach New York und Buenos Aires oder wie die Hunsrücker nach Südbrasilien! Wahrscheinlich hätte die bayrische Obrigkeit Dich dann Deines Postens enthoben, so wie sie es gelegentlich vergeblich versucht hat.

Wir waren immer Wettbewerber, befreundet, aber in der steten Versuchung, uns von Angesicht zu Angesicht Artigkeiten zu sagen und – wie in der Commedia dell' Arte – hinter vorgehaltener Hand, aber doch so, dass das Publikum es hören konnte, gegen den anderen vom Leder zu ziehen.

Das ist jetzt vorbei, Wassilios. Die milde Abendsonne hindert uns zwar nicht daran, weiter in der weiten Welt herumzugeistern als müssten wir vor unserem Abtritt möglichst viel in Bewegung setzen, aber sie schafft Gelassenheit in der Betrachtung von Mitmenschen. Und so binde ich Dir einen großen Blumenstrauß, gratuliere zum Geburtstag und zu jenem geschichtsträchtigen Kabinettstück, das wir Dir verdanken: der Rehabilitation des Schattenmenschen, des Tunichtguts, des Vaters. Eine Erkenntnis zu haben, ist die eine Seite der Medaille, sie deutschen Familiengerichten plausibel zu machen, eine andere. Viele Kinder werden es Dir danken, auch wenn längst der Wind über unsere Gräber streicht und nur einige Menschen auf Kreta noch wissen, wie man Deinen Namen richtig buchstabiert.

Jürgen Zimmer